Vortragsreihen 2018 – 2022

Eucharistie als Kannibalismus und andere Perspektivwechsel mit der Afrikanistin Heike Behrend

Mittwoch, 25. Mai 2022 von 18 bis 20 Uhr

Anlässlich des auf der letztjährigen Leipziger Buchmesse mit dem Sachbuchpreis ausgezeichneten Werkes Menschwerdung eines Affen – eine Autobiografie der ethnografischen Forschung veranstalten wir ein Werkstattgespräch mit der Autorin.

Alle an gegenseitigen Spiegelungen, kritischen Auseinandersetzungen mit Methoden, Feldforschungserfahrungen, Perspektivwechsel und anderen ethnographischen Überraschungen Interessierten sind herzlich eingeladen, in den Dialog zu treten und eventuell eigene Erfahrungen einzubringen!

Heilpflanzenführung II im Alten St.-Matthäus-Kirchhof

Dienstag, den 28. April 2022 13:30 bis 15 Uhr 

Olaf Tetzinski Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt der Heilpflanzenkunde und Naturbegleiter

Caroline Contentin, Gesundheits- und Krankenpflegerin und Master of Art in Sozial- und  Kulturanthrologie im Bereich Medizinethnologie

Im Alten St.-Matthäus-Kirchhof steckt ein Schatz, der zu mehr Autonomie und Gesundheitskompetenz führen kann. Olaf Tetzinski – ehemaliger Schüler der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) – teilt den im Alltag wertvollen Wissensschatz der Pflanzenheilkunde und seine persönliche Erfahrung den aktuellen SchülerInnen der SFE mit. Die Vermittlung dieser Kenntnisse ist entscheidend dafür, dass sie erhalten bleiben und weiterentwickelt werden können. 

Im Laufe der Führung wird Frau Contentin auf die besondere Bedeutung des Kontexts für die  Vermittlung dieses Wissens hinweisen.

Es geht auch darum, Pflanzen als Teil gesellschaftlicher Zusammenhänge zu begreifen!

Anknüpfend an die Ausstellung 2012 „Sibyllenwurz und Speisedampf“ der Werkstatt Ethnologie Berlin und die Feldforschung ihres Mitglieds Caroline Contentin zum Thema „Vorstellungen von ,gesunder’ Ernährung“ fördert die Werkstatt diese Wissens- und Erfahrungsvermittlung im Freien.

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Vortragsreihe 2017

Prekäres Leben unter Bedingungen von Armut, Flucht und Migration

Die Reihe beginnt mit einem Vortrag zum Thema « Körpermetaphern in politischen Krisen », daran schließen sich die Themen Konflikte um den Öffentlichen Raum, und die Bereiche Gesundheit und Ernährung an.

22 Juni 2017 | « Zur psychosozialen Versorgung von traumatisierten Geflüchteten »

Dorothee Bruch, Diplompädagogin, Systemische Therapie und Beratung

Die Referentin informierte über die Behandlungsangebote und die Leistungen der psychosozialen Zentren aber auch über ihre wegen Finanzierungsproblemen, Personalmangel und der Verwaltung des Mangels eingeschränkte Zuständigkeit und Zugänglichkeit.
Sie betonte die Wichtigkeit der Lobbyarbeit zur Verbesserung des Asylverfahrens und die Möglichkeit von Klagen vor dem Verwaltungsgericht im Falle von Ablehnung des Asylantrags, die zu wenig bekannt sind, d.h.. wenn der Asylsuchende unter einer Krankheit leidet, was ein Abschiebehindernis darstellt. Das Erkennen von körperlichen und psychischen Erkrankungen ist ausschlaggebend für den weiteren Aufenthalt in Deutschland!“.Trotz der ungeheueren Materialfülle ging sie noch auf die Einzelfragen der Anwesenden ein.

Eine Teilnehmerin fühlte sich erschüttert und entsetzt und hat sich darüber geäußert. Auf die Frage, wie sie diese Arbeit ertragen könne, sagte die Referentin, es gäbe auch Erfolge, die wieder Mut machten, es gäbe gute KollegInnen, und Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung und zum Informationsaustausch. Supervision sei natürlich notwendig.

20 Juni 2017 | « Ich will jetzt (nichts) über gesunde Ernährung hören » – Ethnokulinarische Perspektiven auf den Struggle von Gesundheit und Genuss

Dr. Daniel Kofahl, Ethnologe, Sprecher der AG Kulinarik der DGV

« Gesunde Ernährung » – doch was ist gesund? Der Referent führte aus, wie kultur- und gesellschaftsabhängig Ernährung ist. Wollen wir nachhaltig, günstig, gesund etc. essen oder einfach nur um satt zu werden? Kann günstig auch nachhaltig sein, ist teuer auch stets gesund, etc.? Ernährung ist ein Natur- und Gesellschaftsphänomen; was, wie, wo und mit wem wir essen ist kulturabhängig. Bei uns existieren durch Ernährungskulturkontakt mehrere Ernährungskulturen nebeneinander. Essen, so Herr Kofahl, sei auch ein Symbol für sozialen Status. Seit dem Jahr 2000 beobachtet er eine zunehmende Schicht- und Milieudifferenzierung und immer mehr Menschen sei die kulinarische Teilhabe verwehrt.
Der Referent unterschied Nährwert und emotionalen Wert von Speisen, sowie materielle und soziale Ernährungsarmut und deren Folgen.
Globale Verflechtungen zeigte er am Beispiel „Quinoa“: Seit Quinoa – ehemals ein „arme-Leute-Essen“ in Peru – als gesundheitsförderndes „superfood“ den europäischen Markt eroberte, stiegen die Preise vor Ort so rasant, dass es sich die einheimische Bevölkerung nicht mehr leisten kann.
Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine rege Diskussion über den normativen Aspekt einer dogmatisch engen „gesunden Ernährung“ trotz allen Bedarfs an besonderen Ernährungsplänen beispielweise für Allergiker und schwer Übergewichtige. Das illustrierte noch den von Herrn Kofahl betonten Bedarf an differenzierteren Studien und öffentlicher Kommunikation über die sozialen und kulturellen Zusammenhänge zwischen Genuss und Gesundheit.

08 Juni 2017 | « Wem gehört die Stadt? Konflikte um Wohn- und Öffentlichen Raum »

Dr. Andrej Holm

Zum Einstieg legte der Referent die Krise der Wohnraumsituation in Berlin und die Ursachen dar. Spekulation und private Investitionen auf der einen Seite stehen immer größerer Einkommensarmut auf der anderen Seite gegenüber. Es gibt in Berlin rund 2 Mio Haushalte, davon sind 650.000 arm. Mieten von 6,40 € pro m² (Durchschnitt 2005) gibt es noch, aber 12-13 € pro m² sind inzwischen bei Neuvermietung üblich, es geht bereits um Erwartungen von bis 18-19 € pro m². Eine so hohe Rendite kann mit Neubau nicht erreicht werden. Deshalb geht es nach einer Phase von hochpreisigem Wohnungsneubau jetzt nur noch um die Erhöhung von Bestandsmieten. Mieter werden bedroht, eingeschüchtert, verdrängt, um vom Nachmieter höhere Preise zu verlangen. Häufig sind die Investoren große Gesellschaften, die auch Leerstand produzieren, um die Mietausfälle als Verluste von den Steuern abzuschreiben.
In dieser Krisensituation organisieren sich immer mehr Basisinitiativen an der Wohnungsfrage und suchen nach solidarischen Antworten. Holm beobachtet seit Jahren die Entwicklung von „kleinen soziologischen Wundern“, Initiativen aus Mietshäusern, die für sich selbst sprechen und ziemlich effektiv sind. Hundert sollen es sein. Von diesen Initiativen hatte er drei VertreterInnen mitgebracht, die nach dieser Einführung in drei Runden ihre Gruppen und ihre Arbeit vorstellten und auf Fragen eingingen :

– Claudia von Basta, einer Erwerbsloseninitiative im Wedding,
– Alice von der Solidarischen Aktion Neukölln in Nord-Neukölln,
– Sven vom Mieterforum Pankow.

20 April 2017 | « Körpermetaphern in politischen Krisen »

Dr. Thomas Scheffler, Politologe, Friedens- und Konfliktforscher

Zeitbedingte Vorstellungen von der Funktionsweise des menschlichen Körpers werden seit Jahrtausenden immer wieder auf die Deutung komplexer politischer Vorgänge übertragen, etwa wenn gesellschaftliche Verbände als „große Personen“ und Krisen als „Krankheiten“ imaginiert werden. Thema des Vortrags ist die – teils integrierende, teils ausgrenzende – Verwendung von Körpermetaphern in politischen Krisen, einschließlich der historischen Wechselwirkungen zwischen dem jeweils gängigen Körperwissen und Gesellschaftswissen. Stößt die intuitive Überzeugungskraft von Körperbildern in Politik und Gesellschaft heute an ihre Grenzen? Die moderne Medizin erschüttert heute die Vorstellung vom menschlichen Körper als Monade; Globalisierung und Migration vergrößern die Zahl derer, die sich keinem großen „Körper“ mehr eindeutig zurechnen lassen; und die Suche nach Körperbildern für noch größere, transnationale Lebenszusammenhänge steht, trotz uralter Wurzeln, erst in den Anfängen.

Vortragsreihe 2014:

Verortungen. Ethnologie in Wissenschaft und Öffentlichkeit

Die ReferentInnen zeigten, wie die Ethnologie sich in aktuelle gesellschaftliche und politische Fragen einmischt, wo EthnologInnen sich in der Wissenschaft und Öffentlichkeit positionieren und zu aktuellen Themen äußern.

16 Mai 2014 | « Ethnologie in Zeiten des Krieges – Grenzen und Möglichkeiten ethnologischen Arbeitens am Beispiel Syrien »

Dr. Katharina Lange (ZMO)

Der Vortrag zeichnete an einem konkreten Beispiel aus Nordsyrien nach, wie seit 2011 und insbesondere 2012 soziale Akteure auf verwandtschaftliche und ethnisch definierte Diskurse und Solidaritäten zurückgreifen und andere Solidaritäten (Nachbarschafts- und Freundschaftsbeziehungen über ethnische und konfessionelle Grenzen hinweg) in den Hintergrund treten, hinterfragte jedoch auch die Dominanz ethnisch-konfessioneller Interpretationsmuster für die Darstellung der politischen und militärischen Entwicklungen in Syrien.
Die Darstellung dieser Entwicklungen stößt an offensichtliche Grenzen, die nicht nur für dieses konkrete Thema, sondern für ethnologisches Arbeiten in Kriegs- und Krisensituationen insgesamt von Bedeutung sind. Wie können wir in einer solchen, politisch, militärisch und humanitär extrem aufgeladenen Situation ethnographisch arbeiten und ethnologisch argumentieren? Wie positionieren wir uns als Ethnologen in einem öffentlichen Spannungsfeld aus politischer Rhetorik, journalistischen Wünschen nach einfach darstellbaren Zusammenhängen und exotistischen Stereotypen über den Nahen Osten, nach denen politische Konflikte „notgedrungen“ entlang primordialer (konfessioneller, tribaler oder ethnischer) Solidaritäten ausgetragen werden?

09 Mai 2014 | « Medienhype und (tragisches) Grenzregime. Zur Repräsentation von Flüchtlingen auf Lampedusa »

PD Dr. Heidrun Friese (Chemnitz)

Die Insel ist nicht nur zu einer Bühne für internationale Berichterstattung, der Produktion machtvoller Bilder und (tragischer) Inszenierungen geworden, in dem Aktivisten und Wissenschaftler Mobilität ohne Papiere repräsentieren und die Akteure zwischen Opfern und ‘Befreiern’ ansiedeln. In dem Vortrag wurden, in einem ersten Schritt, die dominanten Medieninszenierungen, die Auswirkungen auf lokale (diskursive) Praktiken und die zunehmende Bedeutung der Insel für die Generierung von Wissen über undokumentierte Mobilität dargestellt. Vor diesem Hintergrund wurden, in einem zweiten Schritt, die Repräsentationen der ‚Undokumentierten’, die von den Akteuren (harragas) selbst u.a. auf YouTube verbreitet werden, in den Blick genommen und und anschließend gefragt, ob und wie diese offiziellen Repräsentationen einen ‚Gegendiskurs’ schaffen.

25 April 2014 | « Eine Ethnographie des Wartens. Migration und Inhaftierung in der Republik Zypern »

Nina Schwarz, M.A.

Die Referentin berichtete über Ergebnisse ihre ethnografischen Recherche im griechischen Teil der Republik Zypern, die die Situation von dort inhaftierten Flüchtlingen/Migrant_innen beleuchtet, die zum Warten gezwungen werden. Der Fokus der Ethnografie des Wartens liegt auf dem Raum zwischen dem Inhaftiertwerden und dem Verlassen der Hafteinrichtung, also auf dem Inhaftiertsein und damit auf dem Warten in Haft. Die aus den gegebenen Bedingungen resultierenden individuellen Handlungen der Inhaftierten bilden den zentralen Gegenstand der Forschung und öffnen den Blick für widerständige Praktiken und autonome politische Projekte migrantischer Bewegung.

11 April 2014 | « Indianische Weisheit und Heilungsmethoden zwischen globalem Markt und Politik »

Dr. Sabine Lenke

Auf dem internationalen Markt unserer globalisierten Welt werden alternative Heilverfahren und Weisheitslehren verschiedenster Herkunft wie Waren gehandelt. Hoch im Kurs stehen momentan Yoga, Ayurveda, die sog. TCM, aber auch indianischer Schamanismus, Krafttiere, Ayahuasca oder Traumreisen. Diese importierten Heilverfahren gelten als bewusstseinserweiternd und geprägt von tiefer Weisheit. Sie scheinen einen Gegenpol zu unserer als defizitär empfundenen Medizin und Kultur zu bilden. Aus ihrem Kontext herausgelöst werden diese Lehren und Methoden jedoch transformiert – hier wie „dort“. In diesem Vortrag soll nach einer allgemeinen Einführung zur indianischen Medizin auf die besondere Situation der Guaraní –Indianer in Brasilien und Paraguay eingegangen werden, die häufig als „Philosophen des Waldes“ bezeichnet werden

28 März 2014 | « Ästhetiken der Krise. Eine Ethnographie zu politischer Street Art in Athen »

Julia Tulke, M.A.

In den vergangenen fünf Jahren ist in Städten der europäischen Peripherie eine Welle neuer sozialer Bewegungen losgebrochen, die sich dem Lefebvreschen Recht auf Stadt verschrieben haben. Mögen auch die unmittelbaren Motive von Aktivist_innen in Athen sich von jenen in Istanbul oder Tuzla unterscheiden, stehen alle diese politischen Mobilisierungen im Kontext der Krise. Im Vortrag wurden diese komplexen Zusammenhänge  aus der Perspektive ihrer Masterarbeit zu politischer Street Art in Athen behandelt. Während einer zweimonatigen ethnographischen Feldforschung in Athen führte sie zahlreiche Gespräche und Interviews mit Künstler_innen, Aktivist_innen und Stadtbewohner_innen und baute ein fotografisches Archiv von mehr als 1000 Bildern auf. Auf dieser Grundlage wurde analysiert, wie die Krise an den Wänden der Stadt dargestellt, verarbeitet und in Frage gestellt wird.

14 März 2014 | « Zur Ethnographie des Urban Gardening in Berlin. »

PD Dr. Elisabeth Meyer-Renschhausen

Die Umstrukturierungen im Zuge der Globalisierung führen zur beschleunigten Urbanisierung. Zugleich verlieren die Städte an Autonomie an die jeweiligen Zentralregierungen und müssen « Sparen ». Der Effekt ist Gentrifizierung und Verwilderung der Städte zugleich: Kaum 500 Meter von imposanten Neubau-vierteln verfallen Fabriken. Überall sieht man vermüllte Brachen. Es entstehen Stadtteile der Hoffnungslosigkeit oder sogar der Gewalt. Zeitgleich entstehen spontane Selbsthilfestrukturen. Urban Agriculture, innerstädtischer Gemüseanbau sind die Folge prekärer Erwerbsstrukturen und unzureichender Löhne. Besonders sichtbar sind die Gemeinschaftsgärten, die sich als Orte der ungezwungenen Integration, der informellen Umweltbildung und des praktizierten Protestes gegen eine die umweltschädigende Landwirtschaftspolitik. Die Referentin ist eine der GründerInnen des Berliner Allmende Kontors.

Vortragsreihe 2013:

Leben in Zwischenräumen – ambivalente Zugehörigkeiten

Die Aufmerksamkeit von SozialanthropologInnen und EthnologInnen richtet sich seit über 10 Jahren von der Untersuchung städtischer Subkulturen und Parallelgesellschaften zunehmend auf das Partikulare, auf das Leben in Zwischenräumen ohne eindeutige Zugehörigkeiten.
Der Werkstatt Ethnologie ist es gelungen, für diese Vortragsreihe sieben junge Wissenschaftlerinnen von HU, FU und LSE zu gewinnen. Sie gaben uns spannende Einblicke in aktuelle ethnologische Forschungen in unterschiedlichen Lebenswelten.

13 Dezember 2013 | « Gesundheits- und Heilungsvorstellungen: Zwischenergebnisse einer Untersuchung bei den Stadtteilmüttern Neukölln »

Caroline Contentin el Masri, B.A. (FU Berlin)

Die Referentin hat im Jahr 2012 den Kontakt zu dem Projekt Stadtteilmütter in Neukölln aufgenommen, die als Multiplikatorinnen für Familien mit Migrationshintergrund arbeiten. Seit Oktober forscht sie für ihre Masterarbeit innerhalb dieser multiethnischen Gruppe zu den vielfältigen Gesundheits- und Heilungsvorstellungen und Motivationen, die die Selbstheilungskräfte fördern.
In dem Vortrag präsentierte sie den theoretischen Hintergrund, ihre Methode und einige Zwischenergebnisse ihrer Feldforschung.

29 November 2013 | « Löcher der Demokratie: AIDS und Ausgrenzung im nationalstaatlichen Kontext der USA »

Lioba Hirsch, MSc, Absolventin der London School of Economics (LSE)

Die Referentin gab uns uns einen Einblick in das Thema ihrer Abschlussarbeit mit dem Titel „Over their dead bodies: How does the American aids epidemic illustrate the exclusionary mechanisms inherent in formations of national identity?
Der Schwerpunkt ihrer Präsentation lag dabei auf der Darstellung der HIV-/AIDS-Infizierten als fremd und anders durch die Politik der USA. Die systematische Marginalisierung und Ausgrenzung der Betroffenen durch den Staat, z. B. bei Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen, auch anderer Staaten als den USA, wurde aufgezeigt. Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass die Krankheit, die zu Beginn des Ausbruchs in den 80er Jahren eher gutsituierte weiße Männer der Mittel- und Oberschicht befiel, nun hauptsächlich bei afroamerikanischen Frauen auftritt. Die Referentin wies nach, dass die öffentliche Präsenz bzw. Nicht-Präsenz direkten Einfluss auf die staatliche Gesetzgebung hat.

16 Mai 2013 | « Leben in der Vertikale, Umsiedlungsprojekt in die Plattenbauten von Kuba. »

Elettra Griesi (Master-Studentin FU)

Inspiriert durch den Volkshelden José Martí versprach die kubanische Revolution (1953-1959) „Umgestaltung, Unabhängigkeit, soziale Gerechtigkeit und Würde der kubanischen Nation“. Die Jahre nach der Revolution brachten eine Umorganisation des kubanischen Systems auf der Ebene der Wirtschaft, der Gesellschaftsstruktur und im Bereich des Bauwesens mit sich. Insbesondere wurde auf die Verbesserung der Wohnsituation gezielt, welche durch eine Reihe von Stadtreformen verwirklicht wurde. Die 70er Jahre markierten den Beginn einer neuen städtebaulichen Epoche auf Kuba durch den Bau von sämtlichen Plattenbausiedlungen. Umsiedlungen von großen Bevölkerungsteilen aus den alten Stadtzentren (insbesondere der weniger Wohlhabenden) waren die Folge davon und führten zu einer Verbesserung der sozialen Konditionen. Im Rahmen des Vortrags wird thematisiert, wie sich aber die Raumwahrnehmung der Akteure und das Verhältnis zu Raum änderte, welche Folgen der neu erbaute Raum auf soziale Praxen und Interaktion der Nachbarschaft hatte und wie dieser infolge sozialer Veränderungen transformiert wurde.

3 Mai 2013 | « Topographien jüdischer Räume »

Dr. Eszter Gantner (WiMi HU)

Seit der Wende 1989 wurden die ehemaligen jüdischen Viertel europäischer Städte zu zentralen Inszenierungsräumen urbaner Geschichte und Kultur in Mittelosteuropa. Sie bilden offenbar ein ganz besonderes symbolisches Kapital im Kampf um mediale wie touristische Aufmerksamkeit. Zu „ehemaligen” Stadtteilen wurden sie, da durch die Ermordung und Vertreibung ihrer jüdischen Bewohner vielfach nur die architektonischen und memorativen Überreste erhalten geblieben sind, die nun ihren „jüdischen Charakter” prägen. Dieser im physischen und historischen Sinne Jüdische Raum („Jewish Space“) das ehemalige jüdische Viertel mit seinen symbolischen Gebäuden wie Synagogen oder Badehäusern, wird gegenwärtig mit neuen kulturellen Inhalten und Bedeutungen gefüllt. In Berlin, Prag, Budapest aber auch in Wien lässt sich die „Vereinnahme“ und Exotisierung der architektonischen und memorativen Überresten durch Stadtmarketing zu beobachten.
In dem Vortrag wird dieser Prozess von „urban imagineering“ am Beispiel von dem „jüdischen Viertel“ in Berlin vorgestellt, mit besonderem Blick auf die Strategien, Formen und Akteure dieses Konstruktionsprozesses.

19 April 2013 | « Zwischen Anpassung und Verweigerung – subkulturelle Mode- initiativen und alternative Lebensentwürfe in der späten DDR »

Andrea Prause (Doktorandin HU)

Parallel zum offiziellen Modeschaffen der DDR bildete sich in den 1980er Jahren
in einigen Städten der DDR eine alternative Modeszene um Designer, Fotografen, Models und Visagisten heraus. Das Spektrum des von Ost-Berlins ausgehenden Phänomens reichte dabei von simplen, an westlichen Stilen orientierten T-Shirt-Manufakturen über klassische Modenschauen sowie provokatorisch-enttabuisierende Mode-Shows mit subversiven, teils politischen Inhalten bis hin zu spektakulären Inszenierungen von Mode-Theatern, die über die Grenzen der Republik hinaus Aufsehen erregten.
Die Diktatur entwickelte repressive Reaktionsmechanismen, die darauf abzielten, das Phänomen zu kontrollieren und zu begrenzen. Als Produkt spezifischer Bedingungen der DDR verweist die zunehmende Popularität und Professionalisierung der Szene jedoch letztlich beispielhaft auf den Legitimations- und Machtverfall der Staatsmacht DDR im Verlauf der 1980er Jahre.

5 April 2013 | « Transnationale Perspektiven für das lokale Bildungssystem: bilinguale Bildungseinrichtungen am Beispiel russischsprachiger Initiativen in Berlin »

Laura de Roos (Doktorandin HU)

Frau de Roos beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit der Anfangs-, Aushandlungs- und Umsetzungsphase in der Gründung von bilingualen Kindergärten und Schulen, die immer häufiger von MigrantInnen in Großstädten mit größeren Einwanderercommunities  gegründet werden. Diese Einrichtungen ermöglichen neue Verräumlichungen in der Stadt und Selbstverortungen/-zuordnungen. Sie beobachtete seit mehreren Jahren die Entwicklung im russisch-deutsch-sprachigen Bildungsbereich in Berlin. Auf das Thema aufmerksam wurde sie durch ein Gespräch mit einer Leiterin einer russisch-deutschsprachigen Kindertageseinrichtung, die auf grundlegende Differenzen zwischen normativ deutschen und normativ russischen Bildungsansprüchen hingewiesen hat. Sie untersucht an diesem Beispiel um welche transnationalen Perspektiven nationale Standards erweitert werden, wie sie zu einem umsetzungsfähigen Konzept zusammengefügt werden und was die dabei entstehenden transnationalen Strukturen solcher Einrichtungen in der Praxis(re)produzieren

8 März 2013 | « Es leben die Zwischenräume? Zur Aushandlung von Zugehörigkeiten brasilianischer Frauen in Berlin. »

Maria Lidola (Doktorandin FU) 

Für eine stetig steigende Anzahl Menschen ist es zur Alltäglichkeit geworden, zugleich in mehreren (transnationalen) sozialen wie kulturellen Räumen zu agieren. Im Zuge von Migration und Diaspora rückte so auch die Untersuchung von sich hierbei herausbildenden Zwischenräumen (in-between-spaces, Bhabha 1994) in das Zentrum vieler anthropologischer Forschungen. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der Beitrag mit Erzählungen über Zugehörigkeiten von in Berlin lebenden brasilianischen Frauen in einem von einer Vielzahl von erfahrener Diskriminierung und Vorurteile geprägten Alltag, möchte zugleich aber auch auf Handlungsspielräume und Positionierungsstrategien der Frauen eingehen. Beleuchtet wird dabei, wie Bedeutungen in und durch Alltagserfahrungen „verrutschen“ und wie sich diese gemäß der Narrativen in (‘Un’-)Zugehörigkeiten materialisieren und in Berlin (neu?) verhandelt werden.

Vortragsreihen 2011/12:

Heilmethoden – Wanderungen und Anpassungen

Weltweit verbreiten sich komplementär zur Biomedizin naturheilkundliche, aber auch schamanistische oder religiöse Wege der Behandlung und Heilung.
In der Vortragsreihe nahmen die ReferentInnen die Motive der Verbreitung von Heilmethoden in den Blick, spürten den Akteuren nach, die die Verbreitung fördern und untersuchten Fragen nach Hintergründen, Veränderungen und Anpassungen.
Die Reihe war Teil unserer Vorbereitung auf die im April/Mai 2012 gezeigte Ausstellung « Sibyllenwurz und Speisedampf – Heilmethoden mit Migrationshintergrund ».

9 März 2012 | « Mediales Heilen in Deutschland. Aktuelle Strömungen und historische Wandlungen seit dem 19. Jahrhundert »

Dr. Ehler Voss, Ethnologe, Leipzig 

Der Referent hat sich auf die Suche nach Medialen Heilerinnen und Heilern in Deutschland gemacht und ist dabei auf verschiedene Szenen des Medialen Heilens gestoßen: Channeling, Schamanismus, Reiki, Bruno Gröning und das Familienstellen nach Bert Hellinger – verschiedene Methoden verdichten sich dabei zu einer Kultur des Medialen Heilens.
Der Referent begann mit dem Rückblick auf das Mediale Heilen seit Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Mesmerismus und stellte dabei die Person des Mediums in den Mittelpunkt. Im zweiten Teil des Vortrags lenkte er die Aufmerksamkeit auf den Schamanismus als gesellschaftliches Phänomen und seine Einordnung. Von einer Erfindung der Ethnologen kam es so weit, dass medial Arbeitende verschiedenster Kulturen sich heutzutage selbst als Schamanen bezeichnen.

24 Februar 2012 | « Wege zur Heilung in der afrobrasilianischen Religion Candomblé“

Sandra Draheim, Ethnologie-Studentin, Berlin

Im ersten Teil des Vortrages ging die Referentin auf die Entstehungsgeschichte des Candomblé ein, der im 16. Jh. mit der Verschleppung von Millionen von AfrikanerInnen aus Westafrika in die „Neue Welt“ begann, davon 4-5 Millionen nach Brasilien. Die Religionen der Yoruba, Fon, Ewe und Bantu wurden von den SklavInnen heimlich gegen schlimmste Repression praktiziert. Einflüsse der Indigenen Völker (im „Hinterland“) wurden aufgenommen, besonders Pflanzen als Symbole oder Heilmittel; und der portugiesische Katholizismus bot das Spektrum der Heiligen, um die Götter hinter diesen Deckfiguren zu verstecken. Erst seit 1970 ist in Brasilien die Ausübung dieser Religion legal möglich, und seit 1988, nach dem Ende der Diktatur, ist sie in der Verfassung verankert. Nach den Grundlagen der Weltanschauung des Candomblé behandelte sie im zweiten Teil des Vortrags das Thema Heilung, welches stark mit der Weltanschauung verknüpft ist. Zentral dabei ist das Erkennen und Beheben von Krisen wie Krankheiten mit Hilfe des Kaurimuschelorakels (jogo de búzios), durch das der Babalorixá oder die Ialorixá, jeweils die männliche oder weibliche höchste Position im Candomblé, zwischen dem Patienten/ der Patientin und den Gottheiten (Orixás) vermittelt.

10 Februar 2012 | « Spirituelle Heilung in der Gegenwart: Ihre Attraktivität für die Jugend und Medien in Tunesien »

Samah Dridi, Ethnologin, M.A.

Die Referentin untersuchte für ihre Dissertation das Verhältnis der spirituellen Heilung zur Religion und der übernatürlichen Welt auf der einen Seite und ihre Verbindung mit der Medizin und Psychologie auf der anderen. Sie hatte in den letzten 7-8 Jahren eine starke Präsenz der spirituellen Heilung in den Medien beobachtet, eine Fülle von Anzeigen in Zeitungen und Internet für Heilung, Wahrsagerei und Ähnliches, auch in Facebook ist solche Werbung gut vertreten. Zahlreiche Bücher wurden veröffentlicht und überall werden Bilder oder Amulette gegen den Bösen Blick eingesetzt. Bildungsniveau, sozialer Status oder Geschlecht spielen dabei keine Rolle. Sie stellte fest, dass die Präsenz in der Öffentlichkeit und den Medien ein konstitutiver Teil der gegenwärtigen Gesellschaft Tunesiens ist.
Die spirituellen HeilerInnen sind die neuen AnsprechpartnerInnen für die Jugendlichen bei Krisen und Krankheiten jeglicher Art. Sameh Dridi ging besonders auf die Attraktivität dieser Methoden ein und zeigte, wie die Jugendlichen diese Methoden mit ihrem eigenen health seeking behavior beurteilen und welchen Nutzen sie aus der spirituellen Heilung (tibb rûhâni) ziehen.

27 Januar 2012 | « Wandlungen tibetischer Medizinpraxis in Europa“

Dr. Mona Schrempf, Ethnologin, Berlin

Die neuesten Forschungen der Referentin, die zum Thema „Tibetische Medizin“ drei akademische Bücher und etliche Artikel verfasst hat, betreffen die Globalisierung der Tibetischen Medizin sowie die rituelle Heilerlandschaft in Ost-Bhutan und Nordost-Indien. Sie legte zunächst di e Grundlagen der Tibetischen Medizin dar, um dann auf die Probleme der Verbreitung und Rezeption in Europa einzugehen. Dr. Yeshi Dhonden und Dr. Trogawa Rinpoche haben die Tibetische Medizin in den 1980er Jahren im Westen populär gemacht. Die wichtigste Methode der TM ist die materia medica (die ihren Ursprung in Indien(!) hat), die Pillen. An denen ist man hier auch vor allem interessiert. Zwei wichtige Institute befassen sich mit ihrer Erforschung und Weiterentwicklung: Das New Yuthok Institut für Tibetische Medizin in Mailand und das Institut für Ost-West-Medizn in Bad Homburg. Die einzige Art von TM-Pillen werden in der Schweiz von der Padma AG hergestellt, die die Kräuter auch in den Schweizer Bergen züchtet.

25 November 2011 | “Kultur, Korn und Kredit. Die Wanderungen der Idee des besonderen Wertes pflanzlicher Nahrung für die Gesundheit “

Dr. Judith Wiedmann, Ethnologin, Berlin

In dem Vortrag ging es um die Früchte der Süßgräser, d.h. um Getreide in allen seinen Arten. Frau Wiedmann tauchte uns zuerst in die Tiefe der Geschichte des „Fruchtbaren Halbmonds“, von wo der Weizen vor 10.000 Jahren ausgehend seinen Weg bis in unsere Breiten fand – nach der letzten Eiszeit. Aus Babylon zitierte sie eine Keilschrift, die berichtete, dass die Frau und die Tochter eines Kaufmanns für seine Schulden in die Knechtschaft weggeführt wurde, wo sie Mehl mahlen mussten. Sie berichtete dann an Beispielen aus aller Welt über die schwere Arbeit des Mahlens, das überall von Frauen getan wurde – bis zur Ablösung durch Tiere und dann Maschinen.
Zu Bildern berichtete sie von ihrer eigenen Feldforschung im Norden Benins, vom Reisanbau in Bali und aus anderen Gebieten. Am Ende erläuterte sie uns noch die Geschichte und Grundlagen der Makrobiotik die Ende des 19. Jahrhunderts von einem japanischen Arzt Weiterentwickelt und unter dem Namen „Makrobiotik“ (Hufeland) gelangte die Lehre nach USA und mit der New Age Bewegung verbreitete sie sich in Deutschland.

11 November 2011 | “Heilmethoden des Neoschamanismus in Berlin“

Imelda Wild, M.A., Religionswissenschaftlerin, Berlin

Den Neoschamanismus klassifizierte die Referentin als eine Form der Esoterik in Verbindung mit einer nicht-westlichen Spiritualität, die mit der New-Age-Bewegung in den 60er Jahren nach Deutschland kam, sich in den 70er Jahren verbreitete und in den 80er Jahren auf dem Höhepunkt war. Im Mittelpunkt steht das Individuum, das sich den Zugang zu bislang verborgenen Dimensionen des Geistes und der Natur erschließt und dadurch eine veränderte Wirklichkeit erlebt – im Einklang mit dem Kosmos, in Harmonie mit der Natur. Zu den Heilmethoden des Neoschamanismus gehört zusätzlich zu Techniken mit spirituellem Hintergrund die Einnahme von Getränken, die mit heiligen Pflanzen hergestellt sind (Ayahuasca/ Yagé und San Pedro). Die Methoden sind: Extraktion, Seelenrückführung, Schwitzhütte, Krafttiere, Trance-Tanz, Schamanische Reisen, Visionssuche, Singtherapie, Traumtherapie, Redestab, Reinigungs- und Klärungsrituale, Räucherzeremonien und Sobadas (Energiemassagen).
Sie selbst hat mit Offenheit und Neugier alles mögliche ausprobiert und sprach sehr respektvoll und mitreißend von diesen Erfahrungen und den Menschen, die die Rituale hier in Berlin angeleitet haben.

28 Oktober 2011 | « Ibn Sina Medizin und Altorientalische Musiktherapie“

Dr. med. Michael Bachmaier-Ekşi, Berlin

Der Referent fand den Titel unserer Vortragsreihe (Wanderungen und Anpassungen) ganz besonders passend für die Unani-Medizin (von Yunan=Ionien=Griechenland), die von dem griechischen Arzt Galenos (Rom) über Hippokrates von Kos durch arabische Übersetzungen im 9. Jh. nach Baghdad (Beyt al Hikma = Haus der Weisheit des Kalifen Maimun), von da nach Persien zu Ibn Sina und von dort weiter bis nach Indien gelangte, wo die Unani-Medizin zu den fünf anerkannten Medizinen gehört, wo sie an Universitäten gelehrt wird und es das Nizamia General Unani Hospital in der Hauptstadt gibt. In der Türkei und Arabischen Ländern ist sie nur noch als „Volksmedizin“ bekannt.
Dr. Bachmeier beschäftigte sich mit der Theorie von Ibn Sina wie er sie in seinem berühmtesten Buch “Qanun al-Tibb“, der Kanon der Medizin, der über 700 Jahre, bis ins 17. Jahrhundert studiert und angewendet wurde, dargelegt hat. Die komplexe Behandlung bezieht Ernährung, Klima, Pflanzen, Entgiftung und Ausleitung, physikalische Therapie und Musik ein. Ibn Sina bemerkte die enge Beziehung zwischen Gefühlen und dem körperlichen Zustand und befasste sich mit der positiven physischen und psychischen Wirkung der Musik auf Patienten. Zu den vielen psychischen Störungen, die er im Qanun beschreibt, gehört auch die Liebeskrankheit.

14 Oktober 2011 | “Traditionelle Medizin in Vietnam“

Dr. Joyce Dreezens-Fuhrke , MPH, Medizinethnologin, Berlin

Die Referentin skizzierte die Grundlagen der „östlichen Medizin“ (Dong Y), die in Vietnam nicht nur bei allen Schichten der Bevölkerung, sondern auch im staatlichen Gesundheitssystem und in der ärztlichen Ausbildung einen anerkannten Status genießt. Da Vietnam rund 1000 Jahre unter chinesischer Herrschaft stand, ist der Einfluss dieser Medizin der stärkste. Dazu kommen lokale Entwicklungen, auch von Minoritäten, wovon es 54 gibt. Nach der Abhängigkeit von China folgte die von Portugal und Frankreich. Nach 1945 stieg die traditionelle Medizin wieder stark im Ansehen, und nach einem kurzen Abfall in den 90er Jahren ist sie heute wieder sehr gefragt.
Dabei kann man 3 Sektoren unterscheiden: Informeller Sektor: Heiler, Wahrsager, Numerologen, Ahnen, Geistliche. Halbformeller Sektor: traditionelle Ärzte, Ausbildung überwiegend in China oder HongKong, und der formelle Sektor: 3715 private Anbieter sind staatlich lizensiert, 19 % der ausgebildeten Ärzte arbeiten in Public Health Centers, und sie betätigen sich in Privatpraxen neben ihrer staatlichen Arbeit. Besonders interessant fanden wir den Einsatz der Modernen Medizintechnik im Kontext von Prophezeiung und Wahrsagerei (z.B. bei Geburt durch Kaiserschnitt).

30 September 2011 | « Schwitzhütte, Medizinrad und Redestab – Indianische Heilmethoden in Europa und den USA“

Dr. Claudia Roch, Ethnologin, Berlin

Indigene Heilmethoden der First Nations werden schon lange nicht mehr von ihnen allein praktiziert, sondern sind von der New-Age-Bewegung adaptiert und dabei zumeist wesentlich verändert worden. Das American Indian Movement (AIM) sieht diese Adaptionsprozesse kritisch und protestiert gegen die Vereinnahmung durch die New-Age-Bewegung. Mit der zeitgenössischen Kritik an der Schulmedizin, die auf ein Weltbild zurückgeht, in welchem der Körper als getrennt von der Seele und als Maschine gesehen wird, geht die Wiederkehr der Einheit und Gesamtheit von Leib und Seele einher. Damit verbunden ist die Tendenz zu einer Ganzheitsmedizin, die einerseits auch auf die indianische Medizin zurückgreift als auch ihr einzelne Elemente entnimmt.

08 April 2011 | “Körper Geist und Seele behandeln? Ayurveda zwischen Indien und Europa“

Dr. med. Christian Kessler, Berlin

Der Referent kehrte praktisch unsere Sicht auf den Ayurveda um, von dem wir bisher wussten, dass er am Universitätsklinikum Charité „integriert“ wird. Nun sahen wir, dass der Ayurveda, das Wissen vom Leben, eine sehr breite aufnahmefähige Definition hat: „Ayurveda ist alles das, was die Gesundheit eines Menschen erhält, fördert, wiederherstellt“ und außerordentlich integrativ ist. Über Jahrhunderte hat er philosophische Einflüsse aus vielen Epochen, Kulturen, Schulen, Religionen und Regionen integriert. Es ist ein offenes System und entwickelt sich permanent. In Deutschland ist man gerade dabei, Elemente der Medizin von Hildegard von Bingen zu integrieren, welche als alte Naturheilmethode, die auch auf die Feststellung der Konstitution beruht (4-Säfte-Lehre) und ganzheitlich heilt, Gemeinsamkeiten mit dem Ayurveda hat.

25 März 2011 | “Kranksein in der Illegalität: Heilungswege lateinamerikanischer Migrant_innen in Berlin“

Susann Huschke, M.A., Ethnologin, Berlin und Braunschweig

Im Zentrum des Vortrags standen die Fragen: Was bedeutet Kranksein in der Illegalität? Und – welche Wege beschreiten undokumentierte lateinamerikanische Migrant_innen, die in Berlin gesundheitliche Probleme lösen wollen und müssen? Sehr anschaulich beleuchtete die Referentin auch die lokalen und transnationalen Netzwerke der Gesundheitsversorgung, die für die Akteurinnen im Kontext von Kranksein (aber auch Schwangerschaft) in ihrer Aufenthaltssituation eine Rolle spielen. Dazu gehören neben nichtstaatlichen Parallelstrukturen der Gesundheitsversorgung Kontakte ins Heimatland oder das Aufsuchen von religiösen Vereinigungen.

11 März 2011 | “Zwischen Politik, Markt und neuen Patienten: Traditionelle Medizin in Ecuador heute »

Dr. Michael Knipper, Arzt und Ethnologe, Giessen

Michael Knipper zeigte am Beispiel der indianischen Medizin in Ecuador sehr anschaulich wie sich Medizinformen, Heilverfahren und auch HeilerInnen durch Migration verändern und wie die „traditionelle“ Medizin z.T. „erfunden“ und strategisch auch für nichtmedizinische Ziele (z.B. als politisches Statement resp. Symbol) ge- und benutzt wird und welche indigenen, nationalen und inter-nationalen Kräfte dabei zum Tragen kommen. Parallel zur fortschreitenden Umweltzerstörung in Ecuador wird verstärkt auch von den beteiligten Firmen vor Ort das Wissen um Heilpflanzen „gefördert“: Es entstehen Heilpflanzengärten, Bücher über Heilpflanzen etc.

11 Februar 2011 | Chinesische Medizin – Rezeption und Adaption in Deutschland“ Matthias Bauer, M.A., Sinologe, Berlin

Matthias Bauer, M.A., Sinologe, Berlin

Im Zentrum des Vortrags stand die Frage: Wie „chinesisch“ und wie „traditionell“ diese Medizin, die sich in Deutschland unter dem Etikett „TCM“ seit den 1970er Jahren verbreitet und seit den 1980er und 1990er Jahren als Gegenentwurf zur Schulmedizin als „sanfte, ganzheitliche“ Medizin dargestellt und vermarktet wird.
Am Beispiel der Geschichte der Akupunktur (Verbot in China/Wanderung und Rezeption in Europa) verdeutlichte der Referent auch, wie problematisch die Aufnahme der chinesischen Medizin als UNESCO Kulturerbe ist.